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Querdenken ohne und mit Mathe

In dem Spiel "110% Querdenken" von Georg Schumacher gibt es die folgende Fragenkarte: "In deinem Weinkeller lagern 200 Flaschen. 99% davon sind Rotwein. Der Rest ist Weißwein. -- Wie viele Flaschen musst du austrinken, damit sich der Anteil des Rotweins auf 98% reduziert?"

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Bild aus der Produktvorschau des Spiels "110% Querdenken", Moses-Verlag

Ich denke nach: Es gibt also 198 Rotwein und 2 Weißweinflaschen. Wenn ich eine Flasche austrinke, reduziert sich die Anzahl der (vollen) Flaschen, damit auch die Prozentzahl. Statt 200 Flaschen haben wir dann 199 Flaschen, 197 "rote" + 2 "weiße" Flaschen. Uff, ein kompliziertes prozentuales Verhältnis.

Und an dieser Stelle baue ich auf die mathematische Ausbildung, die mir zuteil geworden ist. Irgendwie sehe ich nicht, wie ich im Kopf die richtige Lösung finden soll. Auch wenn es bestimmt nicht so kompliziert ist.

Papier und Stift: Eine unbekannte Anzahl x an Rotweinflaschen plus 2 Weißweinflaschen ergibt in Summe die Anzahl der Gesamtflaschen n. Also gilt x + 2 = n.

Andererseits ist das Verhältnis von 98% von x zu n gegeben: x/n = 0,98.

Zwei Gleichungen, zwei Unbekannte, das lässt sich lösen: x = 0,98 n. Das eingesetzt gibt 0,98 n + 2 = n, was sich umformen lässt zu n = 2/(1-0,98) = 2/0,02. Aha, n = 100.

Innerlich winde ich mich. Ja, warum habe ich das nicht gleich gesehen? 2 Weißweinflaschen hätten die zwei gesuchten Prozent sein können, die 98% = 98 Rotweinflaschen übrig lassen. Wie einfach! Man muss also 100 Rotweinflaschen trinken, um 98 übrig zu lassen.

In der Tat, wie einfach! Man hätte auch so darauf kommen können. Mit gesundem Menschenverstand. Oder, wie Georg Schumacher als Spieleerfinder sagen würde, mit Querdenken. Dann hat man die Aufgabe nämlich verstanden, ihre Idee erfasst! Man hat den Kniff gesehen. Ohne Mathe.

Ich finde diese Art der Aufgabe interessant und diskussionswürdig. Man kann eine Lösung finden ohne sich mathematisch abmühen zu müssen. Es bedarf eines Grundwissens, was Prozentangaben sind, mehr nicht. Kinder können die Lösung finden, Erwachsene ebenso. Aber auch nur deshalb, weil die Aufgabe so gebaut ist, dass sie so funktioniert mit diesen Prozentangaben. Die Aufgabe ist für Klarsichtige gemacht worden. Sie ist lösbar für Querdenker, weil sie für das Querdenken konzipiert wurde.

Eine mathematische Ausbildung hilft jedoch, eine Lösung unabhängig von der speziellen Konstruktion der Aufgabe zu finden. Im Moment der Erstellung der Gleichungen wende ich eine erlernte Lösungstechnik an, ohne ein Verständnis der inneren Lösungsmechanik zu haben. Aber das stellt sich mit der Lösung ein. Dann sprechen die Formeln zu mir -- und dann verstehe ich die Aufgabe auch. Der Witz an mathematischer Ausbildung ist in dem Fall: Ich brauche nicht quer zu denken, um eine Lösung zu finden. Denn ich finde immer eine Lösung, egal, ob die Aufgabe dafür gebaut wurde oder nicht.

Mathe hilft beim Querdenken mit "krummen" Zahlen. Denn die Welt baut uns keine Querdenkaufgaben mit "geraden" Zahlen. Bildung, auch eine formale Bildung, kann beim Querdenken helfen. Genauso, wie sie uns manchmal im Weg steht, einfache Lösungen zu sehen (statt sie zu "berechnen").




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