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Vom Zählen und vom Sehen

Mein ältester Sohn, bald sechs Jahre alt, hat die vergangenen Tage die "großen Zahlen" für sich entdeckt. Genauer gesagt, er entdeckt das Regelsystem, nach dem Folgen von Zahlen ausgesprochen werden: 3-2-0, dreihundertzwanzig; 1-4-0, einhundertvierzig. Es ist beachtlich, wie hart ein kleines Menschenkind daran üben muss -- einem Computer wäre das in Kürze beigebracht. Ein kurzes Programm würde für immer und ewig "große Zahlen" richtig in Wortfolgen übersetzen. Meinem Sohn müssen wir die Regeln wieder und wieder erklären. Es bewahrt ihn nicht vor Fehlern. Ein mühsamer Prozess, der spielerisch umgesetzt zwar Spaß macht, aber eines schön verdeutlicht: unsere Hirne sind nicht gerade für solche Regeln gemacht.

Auf der anderen Seite habe ich noch keinem meiner Kinder erklären müssen, wie die Regeln fürs Sehen funktionieren. Noch besser, ich kenne sie selber nicht. Innerhalb kürzester Zeit weisen Kinder Fähigkeiten in der Verarbeitung von Bildern auf, die wir bislang weder mit Hochleistungsrechnern noch ausgefuchsten Algorithmen nachbilden können. Die Mühelosigkeit, mit der wir uns in der Welt bewegen und mit unseren Sinnen orientieren können, ist purer Hohn für all die kläglichen Versuche, Computern menschliche Fähigkeiten angedeihen zu lassen. Geht es aber bereits um einfache Regelsysteme, stechen uns die Computer wiederum gnadenlos aus. Auf ihre Weise verstehen es Computer, uns beim Schach den Rang abzulaufen -- da findet ein spannendes Kräftemessen zwischen der Arbeitsweise von Neuronen und der von Computern statt.

Interessanterweise gibt es aber immer wieder Menschen, die ebenfalls mit solchen Regelsystem ausgezeichnet umzugehen wissen: Mathematiker oder Physiker zum Beispiel. Aber auch Musiker. Zum Teil sind es extreme Einzelbegabungen. Faszinierend daran ist, das neuronale Netze auch so etwas beherrschen können. Was ist es nur, was neuronale Netze zu solchen "formalen Leistungen" befähigt? Ich weiß es nicht.

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Lidl und der Kassen-Bug

Es gibt Fehler, im Informatiker-Jargon "Bugs", die etwas anrühriges haben. Ich bat den Menschen an der Kasse bei Lidl um einen Moment Geduld und meine Kinder um Ruhe, um nicht den wunderbaren Moment zu verpassen, bei dem es passierte. Der Lidl-Mensch fluchte kurz auf -- und ich war entzückt! "Einen Moment, davon muss ich ein Foto machen!" Und dann machte ich noch eines. Ich bin heute extra für diesen Fehler zu Lidl gepilgert -- ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Gestern hat mir ein Student (vielen Dank Herr Breyer) von diesem Fehler in einer EMail berichtet. Ein richtig schöner Fehler, ein Klassiker geradezu. Ein Fehler, den man selten zu Gesicht bekommt, so einer mit Museumswert. Dafür wäre ich sogar noch weiter gereist als bis zum nächsten Lidl. Der Fehler tritt auf, wenn Sie an der Kasse Waren im Wert von 0 Euro (Null Euro) bezahlen. Dann streikt das System. Die kurze Einkaufsliste dazu: Geben Sie zwei Pfandflaschen zurück und Lidl steht mit 50 Cent bei Ihne

Syntax und Semantik

Was ist Syntax, was ist Semantik? Diese zwei Begriffe beschäftigen mich immer wieder, siehe zum Beispiel auch " Uniform Syntax " (23. Feb. 2007). Beide Begriffe spielen eine entscheidende Rolle bei jeder Art von maschinell-verarbeitbarer Sprache. Vom Dritten im Bunde, der Pragmatik, will ich an dieser Stelle ganz absehen. Die Syntax bezieht sich auf die Form und die Struktur von Zeichen in einer Sprache, ohne auf die Bedeutung der verwendeten Zeichen in den Formen und Strukturen einzugehen. Syntaktisch korrekte Ausdrücke werden auch als "wohlgeformt" ( well-formed ) bezeichnet. Die Semantik befasst sich mit der Bedeutung syntaktisch korrekter Zeichenfolgen einer Sprache. Im Zusammenhang mit Programmiersprachen bedeutet Semantik die Beschreibung des Verhaltens, das mit einer Interpretation (Auslegung) eines syntaktisch korrekten Ausdrucks verbunden ist. [Die obigen Begriffserläuterungen sind angelehnt an das Buch von Kenneth Slonneger und Barry L. Kurtz: Formal Syn

Mit Prof. Handke im Gespräch: Vom Workbook zum Inverted Classroom

Aus dem Netz in Handkes Büro Es gibt diese schönen Momente, da führen soziale Medien zu sozialen Begegnungen im echten Leben. Ich twittere im Nachgang zur #BiDiWe16, ein Dialog mit Jürgen Handke ergibt sich, er schickt mir seine Telefonnummer, ich rufe sofort durch, wir verabreden uns. Drei Tage nach der #BiDiWe16 sitze ich bei Handke im Büro, das gleichzeitig sein beachtlich ausgestattetes Aufnahmestudio beherbergt. Es ist Freitagmorgen, 9. September 2016. Jürgen Handke ist mir kein Fremder. Ich habe zwei seiner ICM-Konferenzen besucht, auf der #BiDiWe16 in Berlin hielt er die Keynote. Er hat für seine Lehre Preise erhalten, zuletzt 2015 den Ars Legendi-Preis für exzellente Hochschullehre. Zugegeben, ich hadere mit dem Konzept des Inverted Classroom -- auch Flipped Classroom genannt. Meine Erfahrungen mit der Programmierausbildung von Informatik-Studierenden des 1. und 2. Semesters lassen mich zweifeln. Videos habe ich auch schon produziert, aber vor allem das selbstgesteuerte